Barrierefreiheit in der Beschaffung von IT-Dienstleistungen

Ein Vergabeverfahren stellt immer noch eine Herausforderung dar, wenn Barrierefreiheit nicht nur in Form von einzuhaltenden Standards gefordert wird, sondern Auschlusskriterien wie auch Soll-Anforderungen so formuliert werden, dass ein Arbeiten mit dem betreffenden Produkt für Menschen mit Behinderungen problemlos möglich ist. Das hat zwei Hauptursachen: zu wenig Expertise auf diesem Gebiet und zu viele Bedenken, dass zu strenge Ausschlusskriterien den potenziellen Bieterkreis zu sehr einschränken können.

Allgemeingültige Anforderungen an Dokumentenmanagementsysteme (DMS) lassen sich sicher nur mit Einschränkungen definieren. Es lässt sich aber ein Set von Anforderungen definieren, aus welchem sich einzelne Kriterien nach Bedarf auswählen lassen. Hier bedarf es eines gewissen Feingefühls und fundierter Erfahrung. Menschen mit Behinderungen sollen durch die Minimierung von Ausschlusskriterien nicht zusätzlich benachteiligt werden, sondern durch eine Maximierung möglicher Bieter eine optimale Lösung finden. So kann es in Übergangszeiten passieren, dass ein Produkt zwar noch nicht vollständig barrierefrei ist, aber bereits Lösungen bereitstellt, die auf eine große Expertise im Bereich Barrierefreiheit hindeuten. Einen solchen Bieter von vornherein auszuschließen, könnte für den zukünftig barrierefrei zu gestaltenden Arbeitsplatz folgenschwer sein. Eine sinnvolle Alternative ist das Ausloten der Bereitschaft eines Bieters für weitere Überarbeitungen - und damit die Wahrscheinlichkeit für ein zugängliches Produkt - und den Grad dieser Flexibilität ebenfalls als Kriterium zu definieren.

Es lassen sich zwei Prämissen ableiten:

  • Es muss ein Set an Anforderungen durch intensive Analyse unterschiedlicher DMS-Lösungen definiert werden.
  • Die Beratung bei der Vergabe als Dienstleistung soll nicht nur langjährigen Experten überlassen werden, sondern im Idealfall soll es auch mit weit geringeren technischen Vorkenntnissen möglich sein, maßgeschneiderte Ausschluss- und Soll-Kriterien zu definieren.

Normen

Mit der EN 301 549 existiert ein europaweit gültiger Standard für die Vergabe barrierefreier IT. Dieser Standard stützt sich auf die Anforderungen der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) in der Version 2.1. Zusätzlich wurden, wo nötig, Anforderungen aus anderen Standards wie z. B. DIN EN ISO 9241-171 oder 9241-110 eingebaut. Insgesamt ist es so möglich, Kriterien in Prüfverfahren zu implementieren und Testinstrumente für barrierefreie Software zu schaffen. Dies ist in der Vergangenheit bereits geschehen. Mit dem BIT inklusiv Anwendungssoftware-Test existiert ein Instrument zur Beurteilung von Software gemäß dem Standard EN 301 549. Der Test gliedert sich in drei Stufen: Stufe 0 prüft die Praxistauglichkeit, Stufe I die Konformität mit EN 301 549 und schließlich Stufe II die Konformität mit denjenigen Pflicht-Kriterien der DIN EN ISO 9241-171, die die Anwendungssoftware (und nicht das Betriebssystem) betreffen.

Um bereits in der Stufe 0 eine grundsätzliche Empfehlung für Ausschlusskriterien geben zu können, muss bei jedem Software-Produkt immer wieder neu überprüft werden, welche Kriterien die relevantesten sind. Darauf aufbauend können Ausschlusskriterien mit Anforderungen aus den Stufen I und II ergänzt werden. Erfolgen diese Maßnahmen zusätzlich in Abstimmung mit Schwerbehinderten- und Personalvertretungen sowie den Verantwortlichen im Unternehmen, vergrößert das die Wahrscheinlichkeit für einen optimalen und barrierefreien Prozess ganz erheblich.
 

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