11/2020 - Stand der Entwicklung von Barrierefreiheits-Prüfmodulen für technische Anwendungen

Geschrieben am 11.11.2020.

Das Projekt iDESkmu (inklusive Dokumentenmanagementsysteme und Enterprise Content Managementsysteme in kleinen und mittleren Unternehmen, Verwaltungen und Verbänden der Selbsthilfe) hat es sich zum Ziel gesetzt, an Hand von DMS (Dokumentenmanagementsystemen) zu zeigen, dass es nicht nur eine Prüfmethode gibt, um Standard- und Gesetzes-Konformität zu belegen, sondern eine ganze Reihe von intelligenten Methoden, die den Prüfaufwand jeweils erheblich verringern und damit die Akzeptanz barrierefreier IT verbessern. Wenn Unternehmen ihre Anwendungen auf diese innovative Weise barrierefrei gestalten, sollte es konsequenterweise auch einen ebenso innovativen Weg geben, die Barrierefreiheit einer Anwendung zu belegen. Denn nur mit diesem Beleg ist es möglich, z. B. in Vergabeverfahren wichtige Plus-Punkte zu sammeln.

Unser Ansatz ist einfach: wir wollen den Prüfaufwand mindern, ohne dass die Prüfqualität darunter leidet. Das geht in der Regel am besten, indem man den Aufwand auf mehrere Schultern verteilt. Betrachtet man aus dieser Perspektive die gesetzlichen Bestimmungen, also insbesondere die BITV 2.0 und damit die EN 301 549, wird deutlich, dass nicht alle Anforderungen von Expertinnen und Experten geprüft werden müssen. So könnte man bspw. Prüfaufgaben auf Anwenderinnen und Anwender, UX-Designerinnen und -Designer sowie Entwicklerinnen und Entwickler verteilen und hätte, rein theoretisch, in einem Drittel der Zeit ein fundiertes Prüfergebnis.

Diese Methode bringt noch weitere Vorteile mit sich, denn Prüfen sensibilisiert. Dieser Faktor bildet für uns und unseren Evaluationspartner, der Universität Siegen im Fachbereich Wirtschaftsinformatik, insbesondere IT für die alternde Gesellschaft und Wirtschaftsinformatik und Neue Medien, eine weitere wichtige Ressource zur Verbesserung von Prüfverfahren. Im Kern der Sensibilisierung geht es darum, sich zur Beurteilung von grafischen Programmoberflächen in die Situation von Menschen mit Behinderungen zu versetzen. Jahrelange Prüfpraxis zeigt, dass dabei auch Prüferinnen oder Prüfer auf eigene Bedürfnisse stoßen: Man entdeckt die Schnittmenge zwischen dem, was Menschen mit Behinderungen brauchen und dem, was das Arbeiten mit Anwendungssoftware für Alle angenehmer macht. Auf diesem Wege den eigenen Bedürfnissen Ausdruck verleihen zu können, wird Barrierefreiheitstests nicht nur um den Qualitätsfaktor menschliche Erfahrung bereichern, sondern wird sie für alle Beteiligten auch verständlicher, weil spürbarer und nachvollziehbarer machen.

Im Projekt iDESkmu steht eine pragmatische, unkomplizierte und so dicht am Arbeitsalltag wie möglich orientierte Prüfung unter Einbeziehung verschiedener Funktionen im Unternehmen bzw. der Verwaltung im Vordergrund.

Unsere Basis sind die bestehenden Verfahren der Accessibility-Prüfung und der Usability-Evaluation. Wir stellen Prüferinnen und Prüfern gezielte Fragen, die mit ihrer täglichen Arbeit zu tun haben und so eine hohe Identifikation ermöglichen. Darüber hinaus sprechen wir mit Anwenderinnen und Anwendern, Verantwortlichen, an der Entwicklung Beteiligten, Projektleitungen usw., um daraus ein modularisiertes Verfahren in Form von Prüfmodulen zu erstellen: Die Prüfmodule berücksichtigen nur die Aspekte, die für die jeweilige Software relevant sind. So enthält beispielsweise eine eAkte in der Regel keine Videos. Es ist somit auch nicht nötig, Videos in den Prüfkatalog mit aufzunehmen, auch wenn eine ganze Reihe von Kriterien der EN 301 549 sich genau darum dreht.

Unterstützung erhalten wir dabei von zahlreichen DMS-Anbietern und Softwareherstellern, die das Angebot von iDESkmu nutzen, um ihre Produkte barrierefrei zu gestalten und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit und die eigenen Workflows zu optimieren. Die Prüfmodule werden derzeit in Zusammenarbeit mit unserem Partner HAVI Solutions GmbH & Co. KG entwickelt. Dem Konzept liegt zugrunde, nicht nur technische Kriterien zu berücksichtigen, sondern auch Anwenderpräferenzen. Das Prüftool wird es erlauben, je nach Anwendungsfall individuelle Prüfschritte zu definieren und Heuristiken überall dort Beobachtungen zuzuordnen, wo Barrierefreiheitskriterien aus internationalen Standards ein Kernproblem möglicherweise nicht erfassen können. Auf diese Weise werden die Projektergebnisse von iDESkmu zu einem Wegbereiter für zukünftige Anforderungen an barrierefreie Software in einem nutzerzentrierten Umfeld.

Am 16.10.2020 fand in den Räumlichkeiten der Universität Siegen ein erster Design-Workshop statt. Ziel war es, potenziellen Prüferinnen und Prüfern, die teilweise keine technische Expertise besaßen, darunter blinde und sehbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Entwicklerinnen und Entwickler, Qualitätsmanagerinnen und -manager, Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Expertinnen und Experten, die Möglichkeit zu geben, erste Ansätze für eine Benutzeroberfläche zu finden, die die Freude am Prüfen erhöht und mit der es Spaß macht, Hindernisse bei der täglichen Arbeit zu erfassen und konstruktiv zu kommunizieren.

Das Ergebnis hat gezeigt, dass weitere Workshops dieser Art zur Verbreiterung und Vertiefung der bisherigen Resultate sehr lohnenswert sind. Darüber hinaus werden wir weitere Workshops veranstalten, um das möglichst optimale Design für Prüfmodule zu finden und das Tool in der Praxis zu evaluieren.

Detaillierte Infos zum Workshop finden Sie hier