Klassifizierte Erkenntnisse über typische Einschränkungen der Accessibility von verschiedenen DMS / ECMS und eine Zuordnung zu den einzelnen Prozessen

Um eine Aussage über typische Einschränkungen der Accessibility bei Dokumentenmanagementsystemen und Enterprise Content Managementsysteme (DMS undECMS) treffen zu können, wurden die Prüfergebnisse der untersuchten DMS zunächst einmal auf ihre auffälligsten Barrieren hin betrachtet. Dabei wurde ein besonderes Augenmerk auf Hürden gelegt, die mindestens eine Gruppe von Menschen mit Behinderungen von der Nutzung der Anwendung ausschließen würden. Die betrachteten Prozesse orientierten sich dabei nicht an den technischen Gegebenheiten, sondern an den an Arbeitsplätzen verfügbaren Komponenten und den dafür jeweils zur Verfügung stehenden grafischen Programmoberflächen. Dabei konnte man insbesondere folgende Bereiche unterscheiden:

  • Scannen von Dokumenten
  • Programmbedienung (Organisation und Verwaltung)
  • Lesen und Annotieren von Dokumenten
  • Signieren von Dokumenten

Scan-Komponente sowie Organisation und Verwaltung mittels DMS

Das Scannen von Dokumenten wie auch die Programmbedienung war zwar bei einigen DMS nicht barrierefrei möglich, in vielen Fällen aber von geringeren Einschränkungen begleitet, so dass bei Auswahl des geeigneten Produkts eine gute Nutzbarkeit für Menschen mit Behinderungen möglich ist. Herstellerinnen und Hersteller sollten bei der Berücksichtigung der Barrierefreiheit in Entwicklungsprozessen die folgenden Kriterien stärker berücksichtigen:

  • Tastaturbedienbarkeit (inkl. Nutzungskonzept)
  • Screenreader-Ausgabe aller Bedien-, Formular- und Navigationsfunktionen, die immer einen Rückschluss auf die Position innerhalb der Anwendung zulässt

Viewer-Komponente

Als teils unüberwindbare Hürde stellte sich in allen untersuchten DMS die Viewer-Komponente heraus. Diese meist von Drittanbietern bezogene und implementierte Komponente war zwar optisch in allen untersuchten Systemen so eingebaut, dass es bei der Nutzung zu keinem “Systembruch” kam, doch fiel bei der Nutzung gerade mit Screenreadern auf, dass selbst barrierefrei gestaltete PDF-Dokumente mit den Viewern nicht oder nur unzureichend erfasst werden konnten. Auch Bedienelemente, z. B. zur Auswahl unterschiedlicher Annotationsmöglichkeiten oder zur Änderung der Darstellung (Zoom, Rotation etc.) waren häufig auf Grund von fehlenden Alternativtexten (AccName) mit dem Screenreader nicht nutzbar. Einschränkend kam hinzu, dass diese Komponente in den meisten DMS nicht ausschließlich der Betrachtung von Dokumenten dient, sondern dem bereits erwähnten Zweck der Annotation, also dem Hinzufügen von Informationen, die dem Verwaltungsprozess dienen. Das sind in der Regel schriftliche Anmerkungen oder auch Hervorhebungen von Textpassagen. Wenige Herstellerinnen und Hersteller haben in ihren Systemen die Möglichkeit geschaffen, ersatzweise auf eine zugänglichere, externe Komponente, den Adobe Acrobat Reader, zurückzugreifen. Eine besondere Hürde stellt dabei die Überführung von Annotationen in und aus dem DMS-System dar, die sinnvollerweise nicht nur als sichtbare Informationen im Dokument, sondern auch als Meta-Informationen zum Dokument und zum jeweiligen Vorgang zur Verfügung stehen müssen, um in ein Verwaltungsverfahren mit einfließen zu können. Das ist beispielsweise die Information, ob ein Dokument signiert wurde oder ob eine im Dokument vorhandene Anmerkung speziell an eine andere am Vorgang beteiligte Person oder eine Gruppe von Personen gerichtet ist. Das Zur-Verfügung-Stellen wie auch das Übertragen solcher Informationen in und aus einer externen Komponente ist aus technischer Sicht ein komplexer Vorgang und nur in wenigen der untersuchten DMS umgesetzt. Dies grundsätzlich zu fordern, wäre allerdings nicht zielführend, weil das Zurückgreifen auf externe Standard-Komponenten wie auch der damit verbundene „Systembruch“ grundsätzlich vermieden werden sollte. Das versteht sich, nicht nur unter Zuhilfenahme von Usability-Aspekten, von selbst. Viel wichtiger ist es, Drittanbieter zu kennen, die Viewer-Komponenten anbieten und die ein nachweisliches Interesse an der barrierefreien Umsetzung des Viewers haben. In diesem Zusammenhang hob sich insbesondere ein Anbieter hervor, der neben dem Bestreben, den Viewer barrierefrei zu gestalten, sich außerdem darauf konzentriert, alle Dokumente (auch gescannte und in rein grafischer Form vorliegende) in ein strukturiertes HTML-Format zu überführen, welches dann barrierefrei aufbereitet werden kann. Darüber hinaus verfügt die Komponente über die Möglichkeit, mit Hilfe künstlicher Intelligenz Zusammenfassungen mehrseitiger Dokumente zu erstellen und so eine Form von “Querlesen” auch für blinde Menschen zur Verfügung zu stellen. Auch andere der untersuchten DMS-Lösungen bieten solche Formen der automatisierten Dokument-Erkennung nebst Weiterverarbeitung an, doch muss dabei der Einsatzzweck berücksichtigt werden. Im Projekt iDESkmu geht es um die Verarbeitung von Dokumenten in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Eine automatisierte Dokument-Typ-Erkennung ist hier unter Umständen gar nicht erwünscht, dafür aber eine strukturierte Aufbereitung von Dokumenten zur barrierefreien Weiterbearbeitung. Dieses Potential bieten derzeit nur wenige der untersuchten Viewer-Komponenten. In Anbetracht vielfältiger Möglichkeiten der Dokumenten-Automation sollte für die Zukunft der Schwerpunkt daraufgelegt werden, diese Bereiche stärker für das Thema Barrierefreiheit zu sensibilisieren.

Signatur-Komponente

Der Bereich der digitalen Signatur konnte nicht in alle Prüfungen mit einbezogen werden, da dies häufig mit der Nutzung externer Hardware (z. B. Signaturkarten-Leser) einhergeht, was nur vor Ort bei herstellenden oder nutzenden Organisationen möglich gewesen wäre. Dies war pandemiebedingt nicht erwünscht. Dort, wo eine Prüfung auch online möglich war, konnte festgestellt werden, dass es zwar Bemühungen gibt, eine Tastaturbedienbarkeit herzustellen, aber eine Nutzung für blinde Menschen in weiten Teilen noch nicht berücksichtigt wurde. Auch die zur Verfügung stehende Hardware verfügt in der Regel nicht über Sprachausgabe-Möglichkeiten oder der Möglichkeit des Anschlusses einer Braillezeile. Hardware wird in der Regel weitaus langsamer weiterentwickelt als Software. So sind eine Vielzahl von zur Verfügung stehender und vom BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) zertifizierter Signatur-Kartenleser technisch noch auf dem Stand von 2010 und so proprietär ausgelegt, dass Erweiterungen auch theoretisch nicht möglich wären. Dies betrifft nicht nur die Sprach- oder Braille-Ausgabemöglichkeiten, sondern auch die verwendete Displaytechnologie, die in der Regel keine individualisierbaren Darstellungsmodi zulässt. In diesem Bereich ist noch viel Sensibilisierungsarbeit notwendig.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Scannen von Dokumenten wie auch die Nutzung der Programmoberflächen von DMS / ECMS für Menschen mit Behinderungen möglich ist, sofern das Thema bei der Beschaffung in den Vordergrund gerückt wird und transparent wird, in welchem Maße das jeweilige Unternehmen um die Barrierefreiheit seiner Produkte bemüht ist. Im Bereich der Viewer-Komponenten wie auch der digitalen Signatur gibt es teils erhebliche Mängel. Insbesondere für blinde Menschen, die auf die Nutzung von Hilfsmitteln wie Screenreadern angewiesen sind, aber auch für Menschen, deren Motorik so eingeschränkt ist, dass für sie Maus- oder Touch-Bedienung nicht in Frage kommt, sondern ausschließlich Tastaturbedienung, bieten die Mehrzahl der Viewer- und Signatur-Komponenten keine Möglichkeit der uneingeschränkten Nutzung.

Ausblick

Viele DMS- und ECMS-Unternehmen können als sensibilisiert betrachtet werden. Beim Drittanbieter-Markt (Viewer, Signatur-Hard- und Software) sieht die Sache anders aus. Dort findet, getrieben durch die Möglichkeiten maschinellen Lernens, gerade eine rasante Entwicklung statt, z. B. automatisierte Zusammenfassungen von Dokumenten (Stichwort „Querlesen“, immer präzisere Dokumenten-Typ-Erkennung etc.), die die Erfordernisse für Menschen mit Behinderungen nicht unbedingt im Blick hat und dringend auf die Problematik aufmerksam gemacht werden muss. Gerade im Hinblick auf das Ende der Umsetzungsfrist des European Accessibility Act (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz) im Jahr 2025 sollte es beispielsweise selbstverständlich sein, dass die Bestrebungen, Dokumente per künstlicher Intelligenz leichter erfassbar zu machen, auch eine automatisierte Schaffung der Konformität mit dem Standard 14289-1 (PDF/UA) für barrierefreie PDF-Dokumente beinhaltet.