Sozialverantwortliche Beschaffung

Sozialverantwortliche Beschaffung in der öffentlichen Verwaltung - EU-Leitfaden 

Im Auftrag der europäischen Kommission wurde der Leitfaden Socially Responsible Public Procurement (SRPP) mit dem Ziel entwickelt, den Stellenwert sozialer Belange in der Beschaffung der öffentlichen Hand zu definieren, ihn messbar und damit im Rahmen von Ausschreibungen bewertbar zu machen.
Der Leitfaden basiert auf sozialen Werten wie zum Beispiel Beschäftigungschancen, menschenwürdiger Arbeit, der Einhaltung von arbeitsrechtlichen und sozialen Bestimmungen  - explizit der sozialen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen, der Barrierefreiheit und des Design für Alle.

Über lange Jahre herrschte die Meinung vor, dass IT-Barrierefreiheit sich nicht rechtswirksam in Ausschreibungen fordern, definieren und kontrollieren lässt. Durch das Fehlen verbindlicher Kriterien war es in der Tat schwierig, Ausschreibungstexte präzise genug zu formulieren und im engen Korridor der zuschlagsentscheidenden Preisvorgaben der Barrierefreiheit der zu beschaffenden Produkte einen angemessenen Stellenwert beizumessen. Genau das ist der wesentliche Verdienst von Socially Responsible Public Procurement (SRPP).

Soziale Aspekte als Zuschlagskriterien

In der Novellierung des Vergaberechts im Jahr 2016 wurde die Nennung und Bewertung sozialer Aspekte als Zuschlagskriterien gleichbedeutend mit dem Zuschlagskriterium Preis eingestuft. Somit wurde es möglich, die konkrete Anforderung nach der Barrierefreiheit zum Beispiel einer Software in Ausschreibungen aufzunehmen und ungeeignete Angebote vom Vergabeverfahren auszuschließen, auch wenn sie preislich deutlich günstiger erscheinen. 

Ganz konkret und gezielt soll die sozialverantwortliche Beschaffung in der öffentlichen Verwaltung die Beschäftigungschancen für Menschen mit Behinderungen durch Schaffung eines barrierefreien Arbeitsumfelds fördern. SRPP schlägt dafür die Aufnahme von verbindlichen Bestimmungen in Leistungsbeschreibungen von Ausschreibungen vor, die Menschen mit Behinderungen den sicheren Zugang unter anderem zu Produkten und Dienstleistungen der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) gewährleisten. 

Ein sozialverantwortliches öffentliches Beschaffungswesen kann faire Voraussetzungen in Europa schaffen. Mit dem Nebeneffekt, durch entstehende Skaleneffekte die Angebotspreise zu senken und somit die Verbreitung von für alle Menschen zugänglichen Produkten zu fördern. So die Überzeugung hinter diesem Konzept. Skaleneffekte sind Größenvorteile, die durch sinkende Selbstkosten je Stück bei zunehmender Produktionsmenge entstehen.

SRPP – die Idee im Überblick

  • ein sozialverantwortliches öffentliches Beschaffungswesen schafft faire Voraussetzungen in Europa und erzielt so Skaleneffekte
  • Marktinnovationen werden angeregt, der Wettbewerb wird auf europäischer Ebene angekurbelt, z. B. durch Beschaffung von barrierefreien IKT-Produkten für Menschen mit Behinderungen
  • in der Folge verbessert sich die Qualität solcher Produkte, sie können günstiger vertrieben und damit weiterverbreitet werden

Einsatz von SRPP in Ihrer Organisation 

Grob lässt sich die Umsetzung in zwei Bereiche unterteilen: 

  • Kommunikativer und sozialer Ansatz
  • Standards und Methoden

Kommunikation innerhalb und außerhalb der Organisation

Zunächst sollten Sie eine grundsätzliche Entscheidung treffen: In die Beschaffungskriterien von IKT-Produkten wird die Nutzbarkeit für alle aktuellen und potenziellen Mitarbeiter*innen - ungeachtet einer etwaigen Behinderung - integriert. Diese Entscheidung ist ein Bestandteil der Corporate Social Responsibilty – CSR. CSR bildet einen hervorragenden Rahmen, diese Maßnahmen zu kommunizieren und zu etablieren. CSR bedeutet in erster Linie faires Handeln und größere freiwillige Selbstverpflichtung einer Organisation zu sozialer Verantwortung. Auch getragen von Bemühungen der Bundesregierung, den CSR-Gedanken in die Organisationen zu bringen, hat sich die Nachfrage in den letzten Jahren deutlich erhöht. CSR wird dabei zunehmend als Mehrwert für die Attraktivität der eigenen Organisation gesehen und nicht nur für das unmittelbare und mittelbare Umfeld. Lesen Sie hierzu auch über Unternehmenswerte und CSR.

Definition geeigneter Standards & Methoden, Vergabekriterien und Leistungsbeschreibungen

Flankiert wird diese Entscheidung durch die Entwicklung von Vergabekriterien und Leistungsbeschreibungen, die auf nationalen, europäischen und internationalen Standards basieren.

Dazu zählen vor allem

  • die WCAG - Web Content Accessibility Guidelines, die Standards für barrierefreie Webinhalte bieten
  • die Section 508 mit Richtwerten zur Accessibility + Usability von Informationsangeboten im Allgemeinen
  • das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), das dem Grundsatz folgt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf und das eine gleichwertige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für Menschen mit Behinderungen fordert
  • die BITV (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung), die Richtlinien zur Accessibility von Informationsangeboten festlegt
  • die DIN EN ISO 9241-171 mit Leitlinien, die laut EU-Rechtsprechung als Standard zur Bewertung der Benutzerfreundlichkeit aus der Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) geeignet sind und deren Einhaltung für Arbeitgeber rechtlich bindend ist
  • die EN 301 549, ein europäischer Standard für die Bewertung barrierefreier IKT mit dem Ziel, das europäische Vergaberecht zu standardisieren
  • die EU-Beschaffungsrichtlinie RL 2014/24/EU legt erstmals als EU-weit verpflichtendes Kriterium Barrierefreiheit in den IKT-Ausschreibungen öffentlicher Institutionen fest

Weitere Informationen finden Sie auf unserer Website unter Technische Anforderungen an die Beschaffung von IT-Dienstleistungen und Gesetze, Normen und Verordnungen.